Analsex, die Freuden der P-Punkt Stimulation und was es mit Playboy und Feminismus zu tun hat.

Ein Überlegungsansatz von Anna Genger, Gründerin von Pli und L’apotheque

„Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das recht haben, die Tribüne zu besteigen […]“

Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne, 5.September 1791,

Olympe de Gouges.

https://www.playboy.de/lifestyle/bester-sex-sieben-frauen-erzaehlen

Die große Freiheit.

Ich wurde vor ein paar Wochen gefragt, ob ich mir vorstellen könnte im Playboy von meinem besten Sex Erlebnis zu berichten. Klar kann ich, dachte ich und fing sofort an darüber nachzudenken, was es denn war. Das ist ein wenig so wie darüber nachzudenken, was denn der Lieblingsfilm sei.  Das Lieblingslied. Das Lieblingsessen und das Lieblingsbuch. Kann einen komplett den Verstand verlieren lassen, wenn man sich zu sehr reinsteigert. Ich kann ja noch nicht einmal vertrauenswürdig entscheiden, ob ich Rotwein oder Weißwein lieber mag. Würzige komplexe Tiefe vor dem Kamin oder prickelnd perlende Kühle auf einer Dachterrasse im Sommer. Alles hat seinen Ort und seine Zeit. So auch die guten und weniger guten und richtig exorbitant geilen Sex-Erlebnisse. Es wäre tragisch würde ich mit 44 Jahren sagen, ja also dieses eine Mal da damals das war’s dann und danach war alles nur noch lauwarm. Eher nicht. Finde ich ähnlich schwierig, wie die eigene Hochzeit zum schönsten Tag des Lebens hochzustilisieren. Aha, danach geht es also nur noch abwärts? Das kann ja eine heitere Ehe werden. Aber um bei dem Thema zu bleiben: mein schönstes Mal. Ich habe mich womöglich durchaus bockig für eine besondere Geschichte entschieden, weil sie auch etwas mit meiner Vorstellung von Gleichberechtigung und feministischem Freiheitsverständnis zu tun hat. Aber eins nach dem anderen. Ich könnte die Frage, warum ich Lust habe mich in haarige Situationen reinzureiten auch einfach so beantworten, wie meine Freundin Eve Champagne es total geil und simpel tut:

Weil ich es kann.

Aber nein, das wäre viel zu einfach und da kompliziert offensichtlich nun mal meine Gangart ist, hier die lange Erklärung.

Das Playboymagazin positioniert sich seit seiner Gründung konsequent optimistisch, in dem es die Schönheit der Frau unermüdlich zelebriert. Hugh Hefner hat die Frauen in seinem Magazin als Inbegriff der sexuellen Befreiung bezeichnet. Fotos von nackten Körpern, der offene Umgang mit Sexualität – das alles waren Tabus, mit denen die sexuelle Revolution der 1960er- und 70er-Jahre gebrochen hat. Hefner war immer stolz, mit seinem Magazin dazu einen vermeintlichen Beitrag geleistet haben zu können. Und dafür feiere ich den Playboy.

Ich werde im Kontext meiner Projekte (www.lapotheque.de) immer wieder gefragt, ob es mir ein Bedürfnis ist, Wege aus der Schmuddeligkeit zu finden. Ich will dann jedes Mal sofort NEIN fauchen und ärgere mich, dass es diese Entscheidungsnotwendigkeit überhaupt noch gibt. Und das ist auch der Grund, warum ich mich bei meiner Geschichte für eine immer noch tabuisierte Sex-Variante entschieden habe. Nicht weil Anna immer nur anal macht, sondern weil es mich nervt, dass es so hart schockiert. Nicht jeden, aber genug um dusselige Anbagger E-Mails und Glückwünsche nach diesem kurzen Playboytext, ob meiner Offenheit zu bekommen.

Ernsthaft? Wäre ich Lieselotte, die ihr Pony im Stall verführt, verstehe ich die Ohs und Ahs, aber wir reden hier von total seriösem Po back door Sex zwischen einer willigen Frau und einem vorsichtigen Mann. Dass wir nicht nur einen G-Punkt, C-Punkt, sondern sogar einen U-Punkt und P-Punkt haben sollte eine Tatsache sein, die man mal kurz mit ein bisschen Feuerwerk und Konfetti feiern kann. Mittlerweile gibt es ja auch genug Maschinen, okay okay PLEASURE TOYs, die sich geduldig dem Thema annehmen, wenn es kein(e) Liebhaber:in tut und wir selbst zu faul sind. Aber um bei dem inhaltlichen Punkt zu bleiben, den ich versuche zu machen. Auch heterosexuelle Frauen mittleren Alters mit möglicherweise fragwürdigen Interessen, aber durchaus seriösen Absichten haben ein Recht auf königlichen Analsex. Bäm.

Wir sind inmitten einer Zeit, die nach der zu Kenntnisname der jahrtausendelangen Unterdrückung der Frau sich, zumindest im Rahmen abendländischer Kultur, verzweifelt im Schutzbemühen derselben verliert und so weg von der hart erkämpften Freiheit wieder zur Prüderie zurückkehrt.  Und das nervt einfach mal hart.

Die britische Journalistin, Moderatorin und Transgender Aktivistin Paris Lees schreibt in ihrem Artikel von November 2014 für das VICE Magazin „There’s a New Prudery in Feminism and I Hate It.“ über ihre Abneigung gegenüber der zunehmenden Neo-Prüderie in unserer Gesellschaft und dass sie nicht Teil eines Feminismus sein möchte, der bevormundend eine Selbstsexualisierung verbietet im Glauben es besser zu wissen.

I’m getting increasingly sick this neo-prudery, and I don’t think I’m the only one. If you don’t want to be seen as a sex object and desire sex that is bland and emasculated, fine. Choose a partner who can give you that. Or celibacy. But many of us are just animals. We like animal sex and the mating game that leads up to it. Don’t try to impose your prudery and body fascism onto other people anymore than you’d want them to impose their values on you.“

Sie fordert die Unterlassung des Aufzwingens der eigenen körperfaschistischen Prüderie, wenn im Gegenzug auch keine Oktroyierung fremder Werte auf anderer Seite gewünscht wird.

Der freie Wille ist etwas Unheimliches, denn er schließt ein bevormundendes Regulativ aus. Aber nur ohne diese regulierende Bevormundung kann eine absolute Freiheit Einzug in unsere Gedankenwelten halten. Ein Teilaspekt des Feminismus beschäftigt sich mit genau dieser Selbstbestimmung aller Menschen jeglichen Geschlechts. Diese Gleichberechtigung ist ein wichtiger Wesenskern der Menschenwürde und sie anzustreben kann nur durch eine Veränderung der traditionellen Geschlechterrollen und der männlich geprägten Lebensform und Kultur erfolgen. Das geht selbstverständlich weit über sexuelle Praktiken hinaus, aber es ist mein persönliches Anliegen Selbstverständnis in den kleinen Dingen zu etablieren, denn ich halte es für den Weg in die richtige Richtung Themen zu normalisieren, die um Himmelswillen nun auch einfach mal normal sind.

Simone de Beauvoir schrieb in ihrem feministischen Standardwerk »Das andere Geschlecht« darüber, wie ein Weltbild aus männlicher Perspektive mit absoluter Wahrheit verwechselt wird. 73 Jahre später ist die Zeit gekommen, die Chance zu nutzen, binäre Positionierung durch einen visionären Blick in die Zukunft zu ersetzen. Der selbstbewusste Einblick in eine freiheitsgetriebene Sexualität, die stark, unabhängig und selbstsicher ist.

Die Journalistin und Autorin Michèle Roten spricht in ihrem Buch „Wie, mit (m)einem Körper leben“ darüber, wie sie im Umgang mit sich selbst alle möglichen Empfindungen erleben möchte. Sie differenziert zwischen körperlichen und geistigen Erfahrungen, die sie in ihrer Entwicklung geprägt haben und macht keinen Halt vor mitunter peinlich berührenden persönlichen Offenbarungen. Die Erkenntnis wie wichtig es ist von ihrem eigenen Körper zu erzählen und dabei zu polarisieren ist banal, aber gerade deshalb so wichtig. Je mehr Frauen (darüber) sprechen, desto mehr verändert sich das Narrativ. Roten stellt in einem Interview über ihr Buch, genauso wie Lees, fest, sie wolle nicht, dass neue Zwänge entstehen durch eine Bewegung, die uns frei machen sollte.

Und das ist eine, vielleicht die wichtigste, Erkenntnis: Die bedingungslose Freiheit, mit seinem Körper tun und lassen zu dürfen, was man selbst möchte. Ungeachtet der Tatsache, ob zartere Seelen dann erst mal für eine Weile in eine Papiertüte atmen müssen.

Die neue Generation Frauen macht es uns vor und lebt diese Liberalisierung mit der nötigen Selbstverständlichkeit, die es braucht, um glaubwürdig und authentisch zu sein.

 

Die junge Influencerin Medusa Stoner zum Beispiel bringt es in einem kurzen Video auf Instagram, in dem sie sich an ihre Fans wendet, gut auf den Punkt. Sie sagt, sie zeige sich nackt, nicht um von den Betrachter:innen sexualisiert zu werden, sondern um andere Frauen zu ermutigen sich zu ihrem Körper zu bekennen und ihn rundum zu akzeptieren und wenn sie mögen ihn auch zeigen zu dürfen. Es ist nicht an der Audienz der Protagonistin, ihr eine Intention in den Mund zu legen, nur weil eine bestimmte Interpretation besonders gut zu der eigenen sozialen Prägung, Erfahrung oder dem Lebenskonzept passt.

Die Selbstdarstellung kann zu einem künstlerischen Akt stilisiert werden. Stoner beschreibt jedes Fotoshooting als eine Performance, auf die sie sich emotional und zerebral vorbereitet. Das Annehmen einer Rolle suggeriert, dass nur eine Facette des eigenen charakterlichen Portfolios den Betrachter:innen offeriert wird und das ist auch gut so. Es ist eine Anmaßung zu glauben, nur weil wir eine Momentaufnahme sehen und die als sexy, schön, aufregend oder vielleicht auch komplett abstoßend empfinden, dass unserer „Gaze“ allumfassend versteht.

Der Phänomenologe Maurice Merlau Ponty sagt, dass wir neurologisch gezwungen sind, unsere Echtzeiteindrücke auf Erfahrungen und Erinnerungen basierend zu interpretieren. Würden wir ohne diese Schlüssel unbedarft auf alles immer wieder neu reagieren, funktionierte keine soziale Interaktion. Einfach aus Zeitgründen. Wenn man das weiß, kann man damit bescheiden umgehen, versuchen, sich viel Neugierde zu bewahren und es frei mit Sokrates‘ Worten ergänzen: Wir wissen, dass wir nicht(s) wissen. Ich wage es zu behaupten, dass diejenigen, die alles pervers finden und alle sexpositiven Frauen für Nutten halten, sich gegenüber dieser Neugierde offensichtlich verschließen. Schade für sie, denn das Leben ist zu kurz, um auf der Stelle herumzutrampeln.

Ein einheitlicher Feminismus, dessen Definition universale Gültigkeit besäße, ist nicht das erstrebenswerte Ziel, da die Divergenz gesellschaftlicher und kultureller Prägung deutlich gravierender greifen kann als die geschlechtliche. Es ist ein ansprechender Ansatz, Feminismus oder in dem Fall Feminismen als (eine der) Denkbewegungen der Moderne zu verstehen, die durch selbstbewusste, selbstreflektierte, ambitionierte Sichtweisen in ihrer Diversität Horizonte öffnen (können).

Und einer dieser Horizonterweiterungen ist es eben auch unverblümt über Schnackseln zu sprechen.

Die amerikanische Regisseurin Jil Soloway definiert in einem Vortrag von 2016, in dem sie von „the female gaze“ spricht, weitere essenzielle Punkte, die die Argumentation unterstützen, warum es allerhöchste Zeit ist, das Wort Brüderlichkeit nicht nur mit Schwesternschaft zu ergänzen, sondern konsequent durch das mit dem der Menschlichkeit zu ersetzen. Soloway propagiert, dass weder der „female gaze“ noch der „male gaze“ zukunftsweisend sind, sondern dass die Vision einer gesundenden menschlichen Zukunft in einem offenen, fluiden Umgang mit Geschlecht operiert. 

Und das hat nichts damit zu tun, dass wir orientierungslose Zwitter sein müssen, sondern dass so wie der Chefredakteur von Playboy, Deutschland Florian Boitin sich in einem Interview auf Hugh Hefner bezieht: Der Gründer des Magazins sich «zeitlebens für die Freiheit des einzelnen starkgemacht» hat und gegen «jegliche Form von Ausgrenzung und Intoleranz eingetreten» sei.

Absolute Freiheit bedeutet der Definition nach aus heutiger Perspektive möglicherweise mehr als Hefner sich damals überlegt hat, aber das ist auch nicht so wichtig. Es geht, um das Grundverständnis Menschen eine Plattform zu bieten sich zu entfalten. Diesseits der gesellschaftlich akzeptieren Norm. Das kann Playboy hervorragend.

Der Zustand der Objektifizierung der Frau wird von Soloway interessanterweise als ein „nicht im eigenen Körper sein“ beschrieben. Sie sagt, dass eine weitere patriarchalische Problematik der Vergangenheit war, dass Frauen gespalten personifiziert wurden. Damit meint sie entweder als Heilige oder Hure. Ehefrau, Mutter oder Geliebte.

Wenn Playboy es schafft Frauen so zu zeigen und zu Wort kommen zu lassen, dass nicht entschieden werden muss, weder von ihnen selbst oder von anderen, ob sie „Madonna“ oder „Whore“ sind und das mit dem damit eng zusammenhängenden Bestreben einer bewussten Aufhebung dieser paralysierten Selbstwahrnehmung kombiniert werden kann, dann sind durchaus gute Weichen für eine offenere Zukunft gestellt.

Liberté. Égalité. Humanité.

https://www.playboy.de/lifestyle/bester-sex-sieben-frauen-erzaehlen

Alles Liebe Eure Anna

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